John Stuart Mill und Harriet Taylor Mill
Symposium zum 150. Todesjahr J.S. Mills am 15. April 2023 in Nürnberg & via Zoom
© Gesellschaft für kritische Philosophie/Humanistische Akademie 2023
Abgesagt!
Ablauf
Uhrzeit Programmpunkt
10.00 Einführung
10.15 Prof. Dr. Rudolf Lüthe (Aachen):
Das leichte Glück der Schweine und die besondere Würde des
unzufriedenen Sokrates. Kritische Anmerkungen zu einigen
Besonderheiten des Mill’schen Utilitarismus
11.00 Gerda Rosenberger (Egenburg):
Harriet Taylor Mill – Leben, Werk, Wirkung
11.45 Kaffeepause 1
12.15 Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Birnbacher (Düsseldorf):
John Stuart Mill und Harriet Taylor – zwei Feministen avant la lettre
13.00 Mittagspause
14.15 Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber (Brühl) (via Zoom):
Demokratie und Freiheit im Spannungsverhältnis. Die Ablehnung
einer „Mehrheitstyrannei“ bei Mill und Tocqueville
15.00 Dr. Gerhard Engel (Hildesheim):
Vom Nutzen und Nachteil der Konkurrenz für die Freiheit
15.45 Kaffeepause 2
16.15 Dr. Martin Morgenstern (Sankt Wendel):
John Stuart Mill und die Religion
17.00 Podiumsdiskussion mit den Referenten
18.15 Ende der Veranstaltung
Nach jedem Vortrag sowie im Rahmen der Podiumsdiskussion besteht für die
Teilnehmenden Gelegenheit, Fragen zu stellen und Diskussionsbeiträge zu
äußern.
Themen
Das leichte Glück der Schweine und die besondere Würde des unzufrie-
denen Sokrates. Kritische Anmerkungen zu einigen Besonderheiten des
Mill’schen Utilitarismus
Prof. Dr. Rudolf Lüthe
Mill war ein Schüler Benthams (1748-1832), doch hat er dessen quantitativen
Utilitarismus zu einem qualitativen Utilitarismus verändert. Benthams Ziel des
„größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl“ versieht Mill mit der Ein-
schränkung, dass nicht die Menge, sondern die Art des Glücks entscheidend ist,
und dass es besser sei, ein „unzufriedener Mensch“ zu sein als ein „zufriedenes
Schwein“. Der Referent verfolgt in seinem Beitrag die Argumentations- und
Bruchlinien dieses „qualitativen“ Utilitarismus. Mill kommt demnach nicht um
einen außerhalb des Glücks liegenden Wertmaßstab herum, der es erlaubt, die
höhere oder niedrigere Qualität von Glück zu bemessen. Hier greife er auf das
Gefühl der Würde zurück, was ihn in eine überraschende Nähe zu Kant bringe.
Doch damit seien die Grundlagen des qualitativen Utilitarismus bei Mill noch
nicht freigelegt, denn individuelles Glücksempfinden müsse noch mit dem für
den Utilitarismus zentralen Ziel des gesellschaftlichen Nutzens in Einklang
gebracht werden. Hier komme u.a. die Gerechtigkeit als „utilitaristische
Zentraltugend“ ins Spiel. Mit dem Versuch, Gerechtigkeit und Nützlichkeit im
konkreten Handeln zu koordinieren, ergeben aber neue Entscheidungs-
probleme, die letztlich in die individuelle Verantwortung des Einzelnen fallen.
Harriet Taylor Mill – Leben, Werk, Wirkung
Gerda Rosenberger
Die Referentin zeichnet ein engagiertes Porträt von Harriet Taylor Mill, einer
brillanten und unkonventionellen Intellektuellen, deren Leben von „einem
immensen Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Freiheit“ bestimmt war, die
aber im Zeitalter des Viktorianismus aufgrund ihres Geschlechts daran
gehindert wurde, als Philosophin in der Öffentlichkeit Anerkennung zu finden.
Sie weist dabei auch nach, wie groß der Einfluss Harriets auf Mill war, und wie
viele der von Mill vorgetragenen Argumente sich bereits in den Texten finden,
die man Harriet Taylor Mill zuordnen kann. Der Beitrag plädiert deshalb auch
nachdrücklich dafür, Harriet Taylor Mills entscheidende Rolle bei der
Publikation und der Bewertung der Mill’schen Schiften zu würdigen.
John Stuart Mill und Harriet Taylor – zwei Feministen avant la lettre
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Birnbacher
Der Referent thematisiert mit der im Nachlass erschienenen Schrift „Die Unter-
werfung der Frauen“ ein besonders auffälliges Beispiel für die Zusammenarbeit
zwischen Mill und seiner Frau Harriet Taylor Mill. Er sieht beide als Autoren der
Schrift an und plädiert dafür, die dort vertretenen Thesen aus der Perspektive
mehrerer Kontexte zu lesen: dem Kontext einer utilitaristischen Grundposition,
dem Kontext der publizistischen und politischen Tätigkeit Mills, und nicht
zuletzt dem Kontext der „Gesprächsgemeinschaft“ zwischen Mill und Harriet
Taylor Mill. Für beide sei die geforderte Gleichberechtigung der Geschlechter
mehr als ein Rechtsakt gewesen: Sie war der Hebel zu einer umfassenden
Humanisierung der Gesellschaft. Dabei könne Mill zwar durchaus als „Feminist
avant la lettre“ gelten, doch habe er im Gegensatz zu Taylor Mill seine Position
aus Rücksicht auf die Leserschaft immer wieder abgemildert.
Demokratie und Freiheit im Spannungsverhältnis. Die Ablehnung einer
„Mehrheitstyrannei“ bei Mill und Tocqueville
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber
Der Referent untersucht, in welcher Weise Mill und Alexis de Tocqueville ihren
Freiheitsbegriff gegen die Tendenzen einer in der modernen Demokratie
sichtbaren „Tyrannei der Mehrheit“ (in der Formulierung Tocquevilles) zu
immunisieren versuchten. In unserem modernen Demokratieverständnis sei von
einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zwischen Mehrheitsprinzip und
individueller Freiheit auszugehen, das sich sowohl in der Gefahr einer Diktatur
mit Massencharakter als auch in einer Verabsolutierung individueller Freiheit
äußern und dessen institutionelle Austarierung äußerst komplex sein kann. Mill
habe eine Einschränkung individueller Freiheit in Form des „Schädigungsprin-
zips“ auch akzeptiert. Ihre Grenzen liegen für ihn dort, wo ich dem anderen
Schaden zufüge. Aber die eigentlichen Gefahren liegen für ihn wie für Tocque-
ville in einer durch Meinungsdiktatur herbeigeführten Nivellierung. Doch
gelinge es ihm so wenig wie Tocqueville, das genannte Spannungsverhältnis
letztlich zu überwinden, denn es handle sich um ein „Dilemma ohne Lösungs-
potential“: Mills Vorschlag, in einem Repräsentativsystem die gebildeten Eliten
zu privilegieren, um freiheitsfeindliche Entscheidungen auszuschließen, könne
als endgültige Lösung kaum akzeptiert werden. Zugutehalten müsse man aber
beiden Denkern, dass sie die inhärenten Risiken thematisiert hätten, die mit
dem Mehrheitsprinzip für eine freiheitliche Demokratie verbunden sind.
Vom Nutzen und Nachteil der Konkurrenz für die Freiheit
Dr. Gerhard Engel
Ausgangspunkt des Beitrags ist das Recht des Individuums, „in fremde Kon-
kurrenzmärkte“ einzutreten. Der Referent diskutiert, wie aus dem Blickwinkel
des Konkurrenzmodells – als soziale, ökonomische, aber auch politische, im
Meinungsstreit ausgefochtene Konkurrenz - Freiheit als Motor der Modernisie-
rung verstanden werden kann, aber auch welche Hindernisse ihr durch die
Tendenzen zur Monopolisierung entgegenstehen. Dabei stehen zwei auch von
Mill besonders berücksichtigte Bereiche im Mittelpunkt: die Ausgestaltung
demokratischer Institutionen und der Prozess des Meinungsstreits in einer
„meinungsoffenen Gesellschaft“. In seiner Demokratietheorie erweise sich Mill
dabei als vorsichtiger Reformer, der unter Berücksichtigung gesellschaftlicher
Stabilität ein „Peacemeal Social Engineering“ avant la lettre vertrete. Im
Bereich der Meinungsfreiheit betone Mill den Nutzen, den die Gesamtgesell-
schaft aus den kritischen Einwänden Einzelner ziehen könne, auch wenn es sich
um prima facie absurde oder unverständliche Äußerungen handeln sollte. Mit
Blick auf aktuelle Diskussionen (v.a. Klimawandel, Migration) weist der
Referent auf die Aktualität der Mill’schen Überlegungen hin und zieht ein
kritisches Fazit ihrer Anwendung.
John Stuart Mill und die Religion
Dr. Martin Morgenstern
Bekannt ist John Stuart Mill vor allem als Vertreter des Utilitarismus und
Liberalismus sowie als Begründer einer positivistischen Wissenschaftstheorie.
Etwas weniger bekannt ist sein Beitrag zur Religionsphilosophie, die er in
seinen postum erschienenen Drei Essays über Religion (1874) geliefert hat. In
der Tradition der aufklärerischen Religionskritik unterwirft er die zentralen
religiösen Vorstellungen einer kritischen Prüfung, doch gelangt er schließlich zu
einer eher gemäßigten Position, die für Religion Platz lassen möchte. Mills
Distanzierung vom Atheismus ist auch insofern bemerkenswert, als er selbst
keine religiöse Erziehung erfahren hat und offenbar erst unter dem Einfluss von
Harriet Taylor seine spätere Einstellung zur Religion entwickelt hat. Der
Referent befasst sich in seinem Beitrag zunächst mit Mills Kritik der klassischen
Gottesbeweise sowie mit seinen kritischen Analysen der traditionellen Attribu-
te Gottes. Danach geht es um seine kritischen Überlegungen zur Unsterblich-
keitsfrage und zum Problem der Wunder. Nach diesen religionskritischen
Themen werden seine empirisch-faktischen Betrachtungen über die Funktion
der Religion in der Gesellschaft und im Leben des Individuums thematisiert.
Vor diesem Hintergrund wird schließlich seine Anerkennung der Religion als
zulässiger Hoffnung vorgestellt. Abschließend versucht der Referent eine
zusammenfassende Würdigung von Mills Beitrag zur Religionsphilosophie.
Tagungsort
Das Symposium findet in Nürnberg im Marmorsaal der „Nürnberger Akademie“
statt (siehe die oberen zwei Fotos links auf dieser Seite). Bei dem Gebäude
handelt es sich um das ehemalige Gewerbemuseum, erbaut von 1892 von 1897
im Stil eines repräsentativen neobarocken Schlosses. Das Museum war zugleich
handwerkliche und industrielle Bildungsstätte zur Vermittlung der künstleri-
schen Gestaltung von Gebrauchsgegenständen - heute würde man „Design“
sagen.
Essen & Trinken
In den beiden Kaffeepausen (11.45 Uhr und 15.45 Uhr) wird es nicht nur
Getränke, sondern auch süße und herzhafte Kleinigkeiten zu essen geben. Die
Verpflegung in diesen beiden Pausen ist im Teilnahmebeitrag inbegriffen.
Das Mittagessen (13.00-14.15 Uhr) nehmen die Teilnehmenden in einer
Lokalität ihrer Wahl und auf eigene Kosten ein.
Wir empfehlen das Restaurant Heilig-Geist-Spital, das ca. 5 Gehminuten vom
Tagungsort reizvoll in der Nürnberger Altstadt liegt (siehe die drei unteren
Fotos links auf dieser Seite; Lageplan und Wegbeschreibung im PDF ebenda).
Der Weg vom Tagungslokal zum Heilig-Geist-Spital;
hier der Lageplan mit Wegbeschreibung als
PDF-Download.
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